Der Lieblingsbaum
Den ich pflanzte, junger Baum,
Dessen Wuchs mich freute,
Zähl ich deine Lenze, kaum
Sind es zwanzig heute.
Oft im Geist ergötzt es mich,
Über mir im Blauen,
Schlankes Astgebilde, dich
Mächtig auszubauen.
Lichtdurchwirkten Schatten nur
Legst du auf die Matten,
Eh du dunkel deckst die Flur,
Bin ich selbst ein Schatten.
Aber haschen soll mich nicht
Stygisches Gesinde,
Weichen werd ich aus dem Licht
Unter deiner Rinde.
Frische Säfte rieseln laut,
Rieseln durch die Stille.
Um mich, in mir webt und baut
Ew’ger Lebenswille.
Halb bewußt und halb im Traum
Über mir im Lichten
Werd ich, mein geliebter Baum,
Dich zu Ende dichten.
(Conrad Ferdinand Meyer)
„Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor zwanzig Jahren. Die nächstbeste Zeit ist jetzt.“
Aleksej Andreevic Arakceev (1769 – 1834), russischer General und Staatsmann
Der Apfelbaum ist aufgeblüht
Der Apfelbaum ist aufgeblüht.
Nun summen alle Bienen.
Die Meise singt ein Meisenlied.
Der Frühling ist erschienen.
Die Sonne wärmt den Apfelbaum.
Der Mond scheint auf ihn nieder.
Die kleine Meise singt im Traum
Die Apfelblütenlieder.
Die Bienen schwärmen Tag für Tag
Und naschen von den Blüten.
Mag sie der Mai vor Hagelschlag
Und hartem Frost behüten.
Der Apfelbaum ist aufgeblüht.
Der Winter ist vorbei.
Mit Blütenduft und Meisenlied
Erscheint der junge Mai.
(James Krüss)
„Ein gepflegter und gehüteter Baum trägt durch die gute Sorge seines Besitzers
seine Frucht zur rechten Zeit, wie man es von ihm erwartet.“
Juan de la Cruz (1542 – 1591), spanischer Mystiker, Karmeliterpater und Kirchenvater
Auf großen Raum
pflanz’ einen Baum
und pflege sein,
er bringt dir’s ein.
(alte Bauernweisheit)
„Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume auf Erden, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist. Und es geschah so.
Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt, ein jedes nach seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen, in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art. Und Gott sah, daß es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag…“
(1. Buch Mose, Kap. 1)
Einkehr
Bei einem Wirte wundermild,
Da war ich jüngst zu Gaste;
Ein goldner Apfel war sein Schild
An einem langen Aste.
Es war der gute Apfelbaum,
Bei dem ich eingekehret;
Mit süßer Kost und frischem Schaum
Hat er mich wohl genähret.
Es kamen in sein grünes Haus
Viel leichtbeschwingte Gäste;
Sie sprangen frei und hielten Schmaus
Und sangen auf das Beste.
Ich fand ein Bett in süßer Ruh‘
Auf weichen, grünen Matten;
Der Wirt, er deckte selbst mich zu
Mit seinem kühlen Schatten.
Nun fragt ich nach der Schuldigkeit.
Da schüttelt‘ er den Wipfel.
Gesegnet sei er alle Zeit
von der Wurzel bis zum Gipfel!
Ludwig Uhland (1787-1847)
„Bäume sind Heiligtümer. Sie predigen das Urgesetz des Lebens.“
Hermann Hesse (1877-1962)
Der Apfelgarten
Komm gleich nach dem Sonnenuntergange,
sieh das Abendgrün des Rasengrunds;
ist es nicht, als hätten wir es lange
angesammelt und erspart in uns,
um es jetzt aus Fühlen und Erinnern,
neuer Hoffnung, halbvergeßnem Freun,
noch vermischt mit Dunkel aus dem Innern,
in Gedanken vor uns hinzustreun
unter Bäume wie von Dürer,
die das Gewicht von hundert Arbeitstagen
in den überfüllten Früchten tragen,
dienend, voll Geduld, versuchend,
wie das, was alle Maße übersteigt,
noch zu heben ist und hinzugeben,
wenn man willig, durch ein langes Leben
nur das Eine will und wächst und schweigt.
(Rainer Maria Rilke)